30/05/2025 0 Kommentare
Von Fitness-Studios lernen
Von Fitness-Studios lernen
# Himmelsleiter Stadtakademie

Von Fitness-Studios lernen
Von Dr. Uwe Gerrens.
Wider das Boomer-Bashing in der Kirche
Eh‘ man auf diese Welt gekommen
Und noch so still vorliebgenommen,
Da hat man noch bei nichts was bei;
Man schwebt herum, ist schuldenfrei,
Hat keine Uhr und keine Eile
Und äußerst selten Langeweile.
Allein man nimmt sich nicht in Acht,
Und schlupp! ist man zur Welt gebracht
Wilhelm Busch (1878)
Ich bin 1962 geboren. Lange Zeit habe ich mir über meine Existenz keine großen Gedanken gemacht, sondern war einfach da, ohne das rechtfertigen zu müssen. Doch seit einigen Jahren gelte ich als „Boomer“ und damit als politisches Problem. Wir sind einfach zu viele. Die Generation unserer Eltern hat uns nicht verhütet; die „Pille“ kam erst einige Jahre später, in Deutschland ungefähr 1966. Die damaligen Demographie-Experten (Expertinnen?) erfanden für diese statistischen Veränderung den Begriff „Pillenknick“. Das neue Wort sollte etwas Negatives bezeichnen, ein „Knick“ beendete das natürliche Wachstum. Für Bevölkerungspolitiker (Bevölkerungspolitikerinnen?) handelte es sich bei diesem Knick im Kurvendiagramm um eine Katastrophe, waren sie doch immer noch darauf bedacht, dass das deutsche Volk möglichst vielen, möglichst ‚erbgesunden‘ Nachwuchs produzierte. Ab Jahrgang 1970 ‚knickt‘ es nicht mehr: Heutzutage verändert sich die Graphik ausgehend von niedrigerem Durchschnittsniveau von Jahr zu Jahr nur wenig bis gar nicht, „Seitwärtsbewegung“ heißt das neudeutsch (bei den Aktiendiagrammen), wenn sich nichts bewegt. Inzwischen weichen nicht mehr die jüngeren, sondern die älteren Jahrgänge von der Normalität ab, weshalb es für die Abweichler auch diesen Begriff gibt: „Boomer“. Implizite Botschaft: So viele, wie ihr seid, das ist doch nicht ganz normal!
1962 bei meinen Eltern lief das anders ab: Nach neun Jahren Ehe kam endlich das sehnsüchtig erwartete Kind, Grund zu großer Freude. Sogar die Gynäkologen meiner mehrfach operierten Mutter freuten sich, konnte doch jeder von ihnen annehmen, dass es an der eigenen Operationskunst lag. Ich bekam übrigens noch einen Bruder: Jahrgang 1965. Wie das? Offenbar auch nicht verhütet. Ein „Boomer“ eben. Meine Eltern freuten sich jedenfalls ein zweites Mal. Statistisch gesehen: So ungewöhnlich waren zwei Kindern nicht, weder nach damaligen noch nach heutigen Kriterien.
Seit eineinhalb Jahren Jahr bin ich Mitglied in einem Fitness-Studio. Wenn ich nicht an irgendwelchen Geräten schwitze, setze ich mich manchmal auf die eine Bank an dem einen Tisch und lese in der einschlägigen Fachliteratur: „Fitness Management International“. In einem der letzten Hefte wurden die neuesten Fitness-Trends von der „FIBO“ vorgestellt, der „weltweit größten Messe für Gesundheit, Fitness und Wellness in Köln“. Das Heft vermeidet den Begriff „Boomer“, und nennt ältere Menschen „Best Ager“. Ganz kurz falle ich auf die die inzwischen weit verbreitete Marketing-Strategie herein: „Best Ager“, also die „Boomer“, Leute wie ich, sind die allerbesten. Mein Fitness-Studio wirbt um Menschen meines Alters.
„Fitness Management International“ wendet sich nicht direkt an Endkunden wie mich, sondern an die Leitung von Fitnessstudios, die ihre Mitgliedschaft an Leute wie mich verkaufen sollen. Drei Argumente nennt die Zeitschrift dafür, dass man um meine Zielgruppe besonders werben solle: Erstens bleiben die Menschen immer länger gesund und leben immer länger. Heutzutage können Sechzigjährige deutlich mehr als vor hundert Jahren, und selbst Achtzigjährige steigen auf den Everest, zumindest einer. Die Fitness-Studios müssen das einplanen. Zweitens hat diese Gruppe Geld, jedenfalls mehr als die jüngeren Männer mit ihren Muckis und Tatoos, die in den meist den Ton angeben. Die Gruppe der Älteren hat kein finanzielles Problem dabei, sich mit einem regelmäßigen Mitgliedsbeitrag an eine Studio-Kette zu binden. Und drittens: Wenn die Kinder aus dem Haus sind, noch mehr mit dem Beginn des eigenen Ruhestandes, haben ältere Männer auch Zeit und wollen sich mit etwas Neuem beschäftigen, zum Beispiel mit Sport. Übrigens geht es immer nur um Männer. Ältere Frauen scheinen nicht zur Zielgruppe zu gehören, jedenfalls zeigen die Hochglanz-Fotos in „Fitness Management International“ junge, gutaussehende weibliche Models beim Training. Das ist eine Personengruppe, die in meinem Fitness Studio fast nie auftaucht. Bei der Gender-Gerechtigkeit besteht offenbar noch Nachholbedarf. Donnerstags ist Frauen-Sauna, an den anderen Tagen gemischt, also Männer unter sich.
„Best Agers“ – ganz neu ist der Begriff nicht. Schon „Karlsson vom Dach“, ich glaube er war ca. 45 Jahre alt, hielt sich selbst für einen „schönen und grundgescheiten und gerade richtig dicken Mann in seinen besten Jahren“. Bei Astrid Lindgren ist eine gewisse Ironie kaum zu übersehen. Ich habe (trotz Fitness-Studio) keinen Propeller auf dem Rücken, beim Joggen nicht einmal mehr in den Beinen. Ich klaue keinem Lillebror die Klopse vom Teller, und bilde mir auch nichts darauf ein, dass die hübsche Nachrichtensprecherin im Fernseher gerade mich ganz besonders freundlich und ganz besonders liebevoll anlächelt. So blöd kann nur Karlsson sein, da habe ich schon als Kind gelacht
Auch wenn „Fitness Management International“ einen blinden Flecken bei der Gender-Frage hat, wünsche ich mir doch, die Evangelische Kirche würde im Umgang mit dem Generationenkonflikt von meinem Fitness-Studio lernen. Der Kirche fehle der Nachwuchs, wird oft behauptet. Stimmt. Zwar gibt es Nachwuchs, aber die Zahl ist sehr viel kleiner. Dennoch frage ich mich: Wenn Fitness-Studios sich um „Best-Ager“ bemühen, warum nicht auch die Kirche? Es gibt die Älteren in der Kirche in steigender Zahl, sie sind fitter als vor hundert Jahren, leben länger und gesünder und haben Zeit und Geld. Manche steigen nicht mehr auf den Everest, aber nehmen zum Beispiel an Bildungsveranstaltungen teil. Auf keinen Fall darf man sie dafür beschimpfen, dass sie den fehlenden kirchlichen Nachwuchs nicht ersetzen, frei nach dem Motto: „Schön, dass ihr da seid, aber warum seid ihr nicht jünger?“
Die Menschheit, und mit ihr auch die Kirchenmitglieder teilt sich in drei Gruppen: Erstens die Älteren, zweitens diejenigen, die noch hoffen, dass man sie noch in Frieden alt werden lässt, und drittens diejenigen, die aus persönlichen oder politischen Gründen keine Zukunftsperspektive für sich selbst sehen und sich vor dem Älterwerden fürchten. „Best-Ager“ sind diejenigen, die geschafft haben, was andere nur hoffen können. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, begründete der ehemaligen Bremer Bürgermeister Henning Scherf den Umzug in ein Gemeinschaftswohnprojekt. Damit räumte er ein: Man kann vor dem Älterwerden Angst haben. Doch sah er im Mut zur Zukunft eine Tugend, rechnete sich selbst nicht zu den Feiglingen, und begriff das das Altern als Chance.
2021 wurde die 79jährige Präses der EKD-Synode Irmgard Schwätzer durch die 25-jährige Studentin Anna-Nicole Heinrich abgelöst. Krasser hätte der Generationswechsel kaum ausfallen können: Als Schwätzer (vielen Älteren noch als Adam-Schwätzer bekannt) im Jahr 1994 ihre Tätigkeit als Ministerin beendete, war Heinrich noch nicht geboren. Die Synodalen haben bei der Wahl eine Generation übersprungen. Doch auch wenn es für die Wählenden wie für die Gewählte mutig war, wenn eine 25jährige eine Versammlung mit einem Durchschnittsalter von 48 Jahren leitet, handelte es sich doch um einen natürlichen und normalen Vorgang, wenn eine Generation geht und eine andere nachrückt. Soweit ich das aus der Ferne (und als jemand, der nicht in der EKD-Synode sitzt) beurteilen kann, ist das hier sehr gut gelungen. Die Vertreterin der jüngeren Generation macht ihr Ding manchmal anders als ihre Vorgängerin, und das ist in veränderten Zeiten auch gut so. Sie kann reden, und tut das auch und hinterlässt (zumindest bei mir vor dem Fernseher) einen sehr guten Eindruck. Ein gelungener Generationswechsel, und, soweit ich weiss, sogar weitgehend konfliktfrei.
Die Überalterung der Kirche ist ein Problem und muss auch angegangen werden. Es ist möglich, das hinzubekommen, wie das Beispiel der EKD-Synode zeigt. Dennoch: Ein Kult um die Jugend löst das Problem nicht. Man muss es auch hinbekommen. Junge Menschen in der Kirche können genauso irren wie alte. Ziel sollte es sein, um die Jungen zu werben, ohne die Alten zu vergraulen. Der neue Fitness-Trend lautet: Werbt auch um die „Best Ager“. Partiell kann die Kirche davon lernen. Ein gesunder Mix zwischen den Generationen, genauso wie zwischen den Geschlechtern, Milieus, Hautfarben und Kulturen, stünde ihr gut an.
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