14/03/2025 0 Kommentare
Kettensäge oder Kompromiss? Predigt beim Choral Evensong am Freitag, 7.3.2025
Kettensäge oder Kompromiss? Predigt beim Choral Evensong am Freitag, 7.3.2025
# Joki Predigten

Kettensäge oder Kompromiss? Predigt beim Choral Evensong am Freitag, 7.3.2025
Predigt zu Gen, 18, 16-33 und Apg 6, 1-7 von Pfr. Dr. Gert Ulrich Brinkmann
1 In Gomorrha und Sodom herrschte Sodom und Gomorrha. Es war schlimmer, als man es sich vorstellen konnte. Wie die Menschen miteinander umgingen, wie sie ihre Tiere behandelten, wie sie alles verkommen ließen. Dass sie nichts von Gott hielten. Gott im Himmel hörte davon. Er beschloss, dem schändlichen Treiben ein Ende zu setzen. Er wollte die Städte vernichten. Aber vorher gab es noch etwas Wichtiges zu erledigen. Gott musste Abraham zu informieren. Das, was er vorhatte, wollte er seinem Getreuen sagen, dem er so viel verheißen hatte: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein. So geschah es. Abraham hörte, was Gott vorhatte. Er war entsetzt. Das konnte Gott doch nicht machen. Die Stadt vernichten. All die Menschen. Dazu die Tiere. Abraham musste etwas dazu sagen. 2 „Abraham trat näher und fragte: »Willst du wirklich Gerechte und Frevler ohne Unterschied vernichten? Vielleicht gibt es 50 Gerechte in der Stadt. Willst du sie trotzdem vernichten? Willst du den Ort nicht verschonen wegen der 50 Gerechten darin? Das kannst du doch nicht tun und den Gerechten wie den Frevler töten! Dann würde es den Gerechten ergehen wie den Frevlern. Nein, das kannst du nicht tun. Der Richter der ganzen Welt begeht doch kein Unrecht.« Der Herr antwortete: »Wenn ich in der Stadt Sodom 50 Gerechte finde, verschone ich ihretwegen den ganzen Ort.« Aber Abraham fuhr fort: »Ich bin nur Staub und Asche. Dennoch habe ich es gewagt, mit dem Herrn zu reden. Vielleicht sind es 5 weniger als 50 Gerechte. Willst du wegen der 5 die ganze Stadt zerstören?« Da sagte er: »Nein, ich werde sie nicht zerstören, wenn ich dort 45 Gerechte finde.« Abraham richtete noch einmal das Wort an ihn: »Vielleicht lassen sich dort nur 40 finden.« Er antwortete: »Wegen der 40 werde ich es nicht tun.« [30] Abraham sagte: »Mein Herr, sei mir nicht böse, wenn ich weiterspreche. Vielleicht lassen sich dort nur 30 finden.« Er entgegnete: »Wenn ich dort 30 finde, werde ich es nicht tun.« Abraham fing wieder an: »Ich habe es nun einmal gewagt, mit dem Herrn zu verhandeln. Vielleicht sind es nur 20.« Er antwortete: »Wegen der 20 werde ich Sodom nicht zerstören.« Abraham redete weiter: »Mein Herr, sei mir nicht böse, wenn ich noch ein letztes Mal das Wort ergreife. Vielleicht gibt es dort nur 10 Gerechte.« Er erwiderte: »Wegen der 10 werde ich die Stadt nicht zerstören.« Der Herr ging fort, nachdem er das Gespräch mit Abraham beendet hatte. Daraufhin kehrte Abraham in sein Lager zurück.“ (Genesis 18, 23-33) 3 „Dann machen wir einen Kompromiss“, krähte Oskar, der fünfjährige Sohn meines Stadionfreundes. Er wollte unbedingt mit zum Heimspiel. Das Problem: Wir hatten keine Karte. Und für die Nordkurve wäre dann doch zu früh gewesen. Nicht so sehr wegen der zu erwartenden Bierdusche. Auf den Stehplätzen hätte der Kleine nichts gesehen. In seiner KiTa hatte Oscar gelernt, dass es für abgelehnte Wünsche ein Zauberwort gibt: „Kompromiss“. Das üben die da schon ein. Zum Beispiel wenn die Erzieherinnen raus wollen, die Kinder aber in den Sportraum. Oskar wusste, dass Kompromisse etwas mit „wenn – dann“ zu tun haben. Wenn wir jetzt in die Sporthalle gehen, dann gehen wir nach dem Frühstück aber raus. Oscars Vorschlag an uns war nun: „Wenn ich mit ins Stadion gehe, dann können wir danach noch Pommes essen.“ Das Konzept „Kompromiss“ hatte er immerhin ansatzweise verstanden. Ich denke im nächsten Jahr können wir das es probieren: Nordkurve und Pommes. 4 Egal wo man politisch gerade hinschaut. Um die Kompromissfähigkeit kann einem Angst und bange werden. Statt Kompromiss ist gerade Kettensäge angesagt, Dekrete statt demokratischem Ringen um Lösungen. Nicht wenige sagen schon länger: „Ich hasse Kompromisse.“ Der israelische Philosoph Avishai Margalit nennt „Kompromiss“ ein Buh-Hurra-Wort. Für die einen stehen der Kompromisse für einen Mangel an Entschlossenheit, Eindeutigkeit und Rückgrat, für Prinzipienlosigkeit. Pfeifkonzert, Buh-Rufe. Für die anderen sind Kompromisse Voraussetzung dafür, dass Menschen überhaupt zusammenleben können: Als Paar, als Familie, als Freundeskreis, als Verein, als Kirche und eben auch in der großen Politik. Sich zusammenraufen, Zugeständnisse machen. Applaus, Hurra. Buh und Hurra: Die Kompromisskultur steht weltweit gerade in einer heftigen Zerreißprobe. 5 Wir Kirchen müssen man aber zugeben: Religion, Glaube, die Bibel sind tendenziell kompromisslos. Man ist von der Wahrheit seines Glaubens überzeugt. Geht mir so, ihnen vielleicht auch. Jesus sagt: Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. (Matthäus 6,24) Sie merken: Da ist keine Verhandlungsmasse. Da sind keine Spielräume. Da ist kein Platz für Kompromisse. Gleichzeitig gibt es in der Bibel aber viele Kompromiss-Geschichten. Ich erzähle Ihnen eine aus der Apostelgeschichte (6,1-6): Da entsteht in der Jerusalemer Gemeinde ein heftiger Streit über die Versorgung der Witwen. Die bekamen täglich so eine Art Mittagstisch. Das war die einzige Mahlzeit am Tag. Eine frühe Form der Rente. Jetzt hatte die Jerusalemer Gemeinde aber ein Luxusproblem: Sie wurde 2 immer größer. Also genau das Gegenteil von dem, was wir erleben. Zugewanderte, griechisch sprechende Menschen kamen in die hebräische Gemeinde. Die neu aufgenommenen Griechen warfen den Hebräern vor: Ihr versorgt unsere Witwen nicht. Unsere Witwen sitzen nicht mit am Mittagstisch. Die zwölf Apostel um Petrus sagten: „Wir schaffen das nicht, die auch noch zu versorgen. Wir, Petrus, Andreas, Philippus, Jakobus und die acht anderen sind nur noch mit Suppe kochen, Suppe austeilen und Spülen beschäftigt. Wir kommen nicht mehr dazu, Gottes Wort zu predigen. So kann das nicht weitergehen.“ Jetzt passiert etwas Lehrreiches, auch für Kirche heute. Um den Konflikt zu lösen, entwickeln die Apostel diese Idee: „Ihr Griechen sucht sieben Leute, die eure Witwen versorgen. Organisiert ihr das unter euch. Wir halten uns da raus. Eure Witwen würden so versorgt und wir hätten wieder Zeit Gottes Wort zu verkündigen.“ Wenn – dann: Wenn ihr selbst sieben Leute findet, dann geben wir die Aufgabe und die Macht ab. Ein klassischer Kompromiss. Beide müssen Zugeständnisse machen. Beide haben Vorteile. Die Apostel haben Zeit fürs Predigen. Die Witwen kriegen ihre Suppe. Die Bibel ist nicht nur kompromisslos, sie erzählt auch solche Kompromissgeschichten. 6 Veronique Zanetti ist Professorin für Philosophie und forscht an der Universität in Bielefeld. Sie hat ein Buch über die „Spielarten des Kompromisses“ geschrieben. Ein Kompromiss, das betont sie, ist etwas anderes als ein Konsens, als Einigkeit. Beim Kompromiss behält jeder seine Meinung. Beide Parteien stimmen einer Sache zu, die sie nicht für ganz richtig oder nicht für ganz wünschenswert halten. So ungefähr muss es am Ende auch bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin sein. Henry Kissinger, ehemaliger USAußenminister mit deutschen Wurzeln hat es sarkastisch auf den Punkt gebracht: „Ein Kompromiss ist nur dann gerecht, brauchbar und dauerhaft, wenn beide Parteien damit gleich unzufrieden sind.“ Es gibt zwei klassische Formen des Kompromisses: Die erste: Man trifft sich in der Mitte. Essen wir Kartoffeln oder Gemüse? Erbitterter Streit. Kompromiss: Es gibt Eintopf. Die andere klassische Form ist der Tauschhandel: Dieses Jahr fahren wir in die Berge nächstes Jahr ans Meer. Bei einem guten Kompromiss gehört eine Sache unbedingt dazu: Beim Kompromiss ist nicht nur das Ergebnis wichtig, sondern auch der Weg dahin. Der Weg dahin muss fair sein, beide Parteien müssen die Chance haben, ihre Sichtweise gleichberechtigt einzubringen. Menschen sind mit einem Kompromiss zufrieden, wenn der Entscheidungsprozess transparent war und sie mitgenommen wurden. Sie sind selbst dann zufrieden, wenn sie mit dem Endergebnis nicht einverstanden sind. Das funktioniert sogar bei höchst umstrittenen Themen wie Migration. Dazu ein andermal. 7 Wir haben vorhin die großartige Kompromissgeschichte zwischen Gott und Abraham gehört. In der Geschichte geht es um die Kraft des Gebetes, so wird sie jedenfalls in der Kirche meist behandelt. Sie ist aber auch die Geschichte eines gelungenen Kompromisses. Es gibt einen Konflikt zwischen Gott und Abraham. Gott plant die Städte Sodom und Gomorrha wegen ihrer Gewalttaten vollständig zu vernichten. Alle. Mann und Maus, Mensch und Tier. Der Konflikt: Gott schaut auf das Ganze, Abraham schaut auf die einzelne Person. Die große Überraschung: Gott handelt nicht eigenmächtig. Er regiert nicht durch. Was passiert? Gott informiert Abraham umfassend über seinen Plan. Gott macht sein Vorhaben transparent. Gott beteiligt Abraham. Die beiden verhandeln. „Wenn es aber 50 Gerechte in der Stadt gibt? „45, 40, 30, 20?“ Bei zehn werden sie einig. (Den Städten hat es leider nicht genutzt, es waren am Ende weniger als zehn Gerechte). Weder Abraham noch Gott können ihre Maximalvorstellung durchsetzen. Es gibt keinen Konsens zwischen ihnen, sondern einen Kompromiss. Bemerkenswert bleibt: Gott, der Ewige und Allmächtige ist bereit, Abrahams Meinung zu hören, Abraham in seinem Entscheidungsprozess einzubeziehen, mit Abraham einen Kompromiss zu schließen. Der Weg zum Kompromiss ist transparent, das Verfahren ist fair. Bemerkenswert für eine Welt, in der die Kettensäge regiert: Gott selbst schließt Kompromisse, erzählt die Bibel. Gott sagt uns damit: Kompromissfähigkeit und Kompromissbereitschaft, Kompromisse schmieden und schließen ist gelebte Nächstenliebe. Kompromissfähigkeit gehört zur DNA des christlichen Glaubens Dieser und andere biblische Konflikte konnten mit Kompromissen gelöst werden. Die Grundlage dafür war und ist das Gebot den Nächsten zu lieben wie sich selbst, sogar die Feinde zu lieben. Das bedeutet: Man denkt die Interessen der anderen Konfliktpartei immer mit. Die Anderen sind keine Feinde, nur weil sie andere Interessen haben. 8 Zum Schluss ein Gedanke des israelischen Philosophen Avishai Margalit, der dem Thema eine sehr persönliche Note gibt. „Ideale sagen etwas darüber aus, wie wir sein möchten.“ Also: Gradlinig, unbeirrbar im Glauben, immer nur der Sache verpflichtet, möchten wir sein. „Ideale sagen etwas darüber aus, wie wir sein möchten. Kompromisse zeigen, wer wir sind.“ Kompromisse zeigen, wer wir sind.“ Gott zeigt in seiner Verhandlung mit Abraham, wer er ist. Gott geht auf Abraham zu. Gott macht Zugeständnisse, die zum Kompromiss beitragen. Er selbst weicht ab von Idealen, Werten und Vorstellungen. Gott bewegt sich für eine gemeinsame Lösung. Er ist fair in der Verhandlung. Gott lässt sich berühren. „Ideale sagen etwas darüber aus, wie wir sein möchten. Kompromisse zeigen, wer wir sind.“ Zugewandt, fair, berührbar. Amen. Inspirationen: Markus Lau, Kulturen des Kompromisses im frühen Christentum. Ein Werkstattbericht vom 20.4.2023, unter: https://www.feinschwarz.net/kulturen-des-kompromisses-im-fruehen-christentum-ein-werkstattbericht/27.2.25, 09:43 Uhr ; Wer hat Angst vorm Kompromiss? Der Kompromiss hat ein Imageproblem. Dabei kann er für beide Seiten bereichernd sein. Magdalena Hoffmann01.12.2018, 05.00 Uhr, https://www.luzernerzeitung.ch/wirtschaft/wer-hat-angst-vorm-kompromiss-ld.1074845, 27.2.2025, 10:17 Uhr ; https://www.deutschlandfunk.de/kompromissepolitik-demokratie-100.html,; Avishai Margalit, Über Kompromisse – und faule Kompromisse. Suhrkamp 2011. Zitat auf S. 14.
Kommentare